Der Neue aus Syrien
von
Johannes Röthe
An einem regnerischen Montagmorgen öffnete sich langsam die Tür der Klasse 4b. Direktor Krause stand im Raum und verkündete: „Guten Morgen, liebe Klasse 4b.Ich möchte euch einen neuen Mitschüler vorstellen. Sein Name ist Ahmed. Er kann noch nicht gut Deutsch sprechen. Ich möchte, dass ihr ihm ein bisschen helft. Ach so, er kommt aus Syrien. Er ist ein Flüchtling.“ Ein schmächtiger Junge mit kurz geschnittenen, dunklen Haaren betrat schüchtern die Klasse.
Luca meinte: „Was ist das denn für eine Pfeife! Der hat ja noch nicht einmal einen Schulranzen.“ Alle Kinder außer Tom lachten. Der Direktor entgegnete streng: „Luca, über diese Bemerkung reden wir später noch einmal.“
Die Lehrerin, Frau Hühnebeil, wies Ahmed einen Platz neben Luca zu. Sie rief laut in die Klasse: „So, nun stellen sich alle Kinder einmal vor. Ahmed, willst du beginnen?“ Ahmed stotterte: „Mein Name sind Ahmed. Ich aus Syrien. Meine Hobby sein Fußball, Hockey.“ Alle Kinder starrten ihn wortlos an.
Es klingelte zur Pause. Alle Kinder standen mit lautem Gebrüll auf und liefen auf den Hof. Der neue Junge aus Syrien folgte ihnen unsicher.
Auf dem Schulhof scharrten sich alle um ihn und fingen an, ihn zu hänseln: „Haste Schiss vor einer Bombe?“ Luca war der Schlimmste. Er warf Steine mit voller Wucht hoch in die Luft, während er brüllte: „Achtung! Es kommen Handgranaten und sprengen dich in die Luft.“ Ahmed schrie auf vor Schmerz. Er war an der Hand getroffen. Schmerzhaft verzog er sein Gesicht und rief etwas auf Syrisch, was wie ein Schimpfwort klang.
Alle Kinder stellten sich auf Lucas Seite und verspotteten Ahmed. Warum sie dies taten, wussten sie selbst nicht. Einfach so! Tom war auch mit dabei. Doch irgendetwas in seinem Inneren merkte, dass Ahmed ihm Leid tat. Er fasste sich ein Herz, nahm ihn an der Hand und ging mit ihm zur Toilette. Tom wusch Ahmed das Blut ab und meinte: „Es sind nur ein paar Kratzer.“ „Danke,“ antworte Ahmed. „Du und ich – wir können Freunde werden,“ sagte Tom lachend und zog ihn aus Spaß zu Boden. „Ja, Freunde“, lachte Ahmed.
Kurze Zeit später klingelte es zum Pausenschluss. Alle Kinder rannten in ihre Klassen. Nach Schulschluss verabschiedete sich Tom von Ahmed und ging nach Hause.
Wenige Tage später an einem verregneten Donnerstagmorgen saßen alle Kinder der 4b um acht Uhr brav auf ihren Stühlen und begrüßten ihre Lehrerin. Plötzlich fiel Frau Hühnebeil auf, dass Ahmed nicht anwesend war. Sie fragte verdutzt: „Weiß jemand, wo Ahmed steckt?“ Von allen Seiten kam: „Nö, nö, nö.“ Als es zur großen Pause klingelte war Ahmed immer noch nicht aufgetaucht. Tom fragte sich: „Wo bleibt er wohl?“ Plötzlich kam Ahmed mit zerrissenen Kleidern an. Er blutete sehr stark am Oberarm. Tom fragte fassungslos: „Was ist denn mir dir passiert?“ Ahmed antwortete nicht. Erst als Tom seine Frage wiederholte, sagte er leise: „ Ich verprügelt von Jugendliche.“
Am Nachmittag, als Tom seine Hausaufgaben erledigt hatte, rief er alle seine Klassenkameraden an und bat: „Komm bitte morgen früh zum Bäcker.“ Am nächsten Morgen versammelten sich alle Schüler aus der Klasse 4b. Luca fragte gelangweilt: „Was machen wir hier?“ Tom antwortete: „Wir warten auf Ahmed, weil er gestern verprügelt wurde.“ „Was, wir warten auf diese Pfeife? Kein Bock!“ Luca protestierte.
„Ja, stell dir vor, du würdest verprügelt werden, dann würden wir uns auch für dich treffen“, sagte Tom ruhig. Darauf erwiderte Luca nichts mehr.
Ein paar Minuten später kam Ahmed und wunderte sich, dass alle aus seiner Klasse auf ihn warteten, um ihm zu helfen. Sogar Luca kam als erstes auf ihn zu: „Entschuldigung, dass ich doof zu dir war. Ehrlich gesagt, bist du ein prima Kumpel.“ Ahmed strahlte: „Entschuldigung angenommen.“ Da lachten alle Kinder laut.
In diesem Moment tauchten die Jugendlichen auf. „Scheiße, jetzt sind wir reif,“ flüsterte Luca. Da bekam er auch schon eine Faust in den Bauch geboxt. Er ging zu Boden. Ahmed und Tom sahen sich an und hatten die gleiche Idee. Sie schoben einen Müllcontainer herbei, nahmen Anlauf und ließen ihn mit voller Wucht auf die Jugendlichen knallen. „Das nächste Mal kriegen wir euch,“ brüllten sie wütend. Humpelnd verließen sie das Schlachtfeld.
Ahmed, Luca und Tom gingen Arm in Arm weg. „Uns kann keiner was!“
12 Jahre alt.