Das unfaire Spiel

von

Vivian Jaster

 

Es war der 13.10.2013 um 7:30 Uhr, als die ersten Sonnenstrahlen mich weckten. Ich schlug die Augen auf und dachte: ,,Das wird bestimmt ein schöner Oktobertag.“ Ich zog mich an und ging die Treppe hinunter, um mit meinem Vater zu frühstücken.

 

Als ich am Tisch saß, fragte er mich: ,,Wieso bist du denn so fröhlich?“ Daraufhin antwortete ich: ,,Heute kommt ein neuer Junge in unsere Klasse und ich möchte ihn unbedingt kennenlernen. Ich hoffe er ist sympathisch.“ Mein Vater grinste in seine Zeitung hinein. Ich gab ihm einen dicken Kuss und machte mich auf den Weg zur Schule. Irgendwie hatte ich ein komisches Gefühl im Bauch. Als würde heute noch etwas Schlimmes passieren. Ich fuhr mit dem Bus, weil es anfing zu regnen. Dort traf ich meine beste Freundin Mia. Sie fragte mich, ob ich auch schon so aufgeregt wäre. Noch bevor ich antworten konnte, hielt der Bus an und aus der Lautsprecheranlage dröhnte eine uns nur allzu bekannte Stimme: „Oberhöchstädter Straße!“, rief der Busfahrer nach hinten. Hier mussten meine Freundin und ich aussteigen. Bis zur Schule mussten wir noch ungefähr fünf Minuten laufen. Wir kamen zwei Minuten zu spät in die Klasse, aber zum Glück war unser Lehrer Herr Lose noch nicht da.

 

Ich schaute mich mit großen Augen in der Klasse um und entdeckte nach einer kleinen Weile unseren neuen Mitschüler. Er saß in der letzten Reihe am Fenster. Kein anderer Schüler aus der Klasse beachtete ihn. Die Jungs tobten wie immer wild durch die Klasse und die Mädels standen zusammen in einer kleinen Gruppe und tuschelten. Wahrscheinlich war ihnen noch nicht mal aufgefallen, dass ein Fremder in der Klasse saß. Mia kniff mich in den Arm und schaute auch zu ihm rüber. Wir gingen beide nervös an unseren Platz. Noch einmal drehte ich mich um, damit ich mir unseren neuen Mitschüler genau anschauen konnte. Er sah etwas ängstlich aus, hatte schwarze Haare und war recht blass. An seinen Augen konnte ich erkennen, dass er aus Asien kam. Auf einmal schaute er mich an und ich war so erschrocken, dass ich mich mit einem Ruck wieder umdrehte. Plötzlich stand unser Lehrer in der Tür und schrie laut: „Guten Morgen zusammen, auf geht’s zum Sportunterricht!“

 

Wir packten unsere Sporttaschen und gingen gemeinsam zur Turnhalle. Gerade hatten wir das Thema Handball. Nachdem wir alle umgezogen waren, teilte uns Herr Lose in zwei Gruppen auf und stellte dabei fest, dass es einen neuen Mitschüler in der Klasse gab.

Nun war der große Moment da. Wir Mädels waren alle ganz aufregt und „er“ war es auch. Sein Kopf wurde feuerrot, denn Herr Lose forderte ihn auf, sich vor der Klasse vorzustellen. „Mein Name ist Josh, ich bin 11 Jahre alt und ich komme ursprünglich aus Thailand.“ Puh, man konnte ihm ansehen, wie erleichtert er war. Sein Deutsch war gar nicht schlecht – bis auf einen leichten Akzent. Wir stellten uns nun auch alle mit Namen vor und ganz schnell mussten wir alle lachen, denn so viele Namen auf einmal kann man sich bestimmt nicht merken. Herr Lose klatschte in die Hände und forderte uns zum Spiel auf.

 

Josh war leider nicht in meiner Mannschaft, aber trotzdem konnte ich während des Spiels ein Auge auf ihn werfen. Zuerst war alles ganz friedlich, doch plötzlich merkte ich, dass es zwischen unseren beiden Mannschaften nicht fair zuging. Marcel und Luis aus meinem Team fingen an, Josh zu ärgern. Immer wieder rempelten sie ihn an und stellten ihm ein Bein. Plötzlich fiel Josh hin und fing an zu schreien. Wir alle blieben wie versteinert stehen und wussten gar nicht, was wir machen sollten. Herr Lose kümmerte sich sofort um Josh, doch sein Schreien wurde immer schlimmer. Er blutete aus der Nase und auf der Stirn wuchs bereits eine Beule. Ich war so sauer auf Marcel und Luis. Warum mussten sie so etwas Ungerechtes machen? Ich packte all meinen Mut zusammen und stellte mich vor die zwei Jungs. „Sagt mal, was war denn das für eine Aktion?“

 

Ich schluckte und musste noch einmal tief Luft holen. „Warum könnt ihr nicht einfach im Team zusammenspielen und Josh als neuen Mitschüler akzeptieren? Er hat euch nichts getan und ich finde euren Auftritt echt peinlich.“  Oh Gott, dachte ich in diesem Moment, so was habe ich mich ja noch nie getraut. Marcel und Luis waren beide geschockt und man merkte ihnen an, wie unangenehm ihnen dieser Vorfall war. Beide stürzten sich auf Josh und entschuldigten sich mehrmals. Sie halfen ihm hoch und brachten ihn in die Umkleidekabine. Herr Lose ging ihnen hinterher, um noch einmal ein klärendes Gespräch unter acht Augen zu führen. Alle anderen Kinder blieben in der Turnhalle. Nach einem kurzen Moment fingen plötzlich alle an zu klatschen und sahen mich an. Ich merkte, wie ich feuerrot im Gesicht wurde. Schnell schnappte ich mir einen Ball und versuchte, wieder ins Spiel zu finden, denn ich wollte nicht im Mittelpunkt stehen.

 

Nach dem Sportunterricht gingen wir in unsere Klasse zurück, wo wir noch zwei Stunden Kunst mit Herrn Fröhlich hatten. Josh setzte sich neben mich auf den freien Platz und grinste mich an. Zuerst war ich unsicher, doch dann zwinkerte er mir zu und flüsterte leise in mein Ohr: „Danke“.  Ich war so glücklich und auch ein wenig stolz auf mich. Ich bin mir sicher, Marcel und Luis haben aus dieser Situation etwas gelernt und wir alle respektieren uns in Zukunft so, wie wir sind.

 

(11 Jahre)