Die Begegnung mit meinen Träumen,

 

 

 

Ich saß in meinem Zimmer und starrte die Wand an. „Kann man vor Langeweile sterben?“, dachte ich. Wahrscheinlich nicht, denn dann würde ich inzwischen schon mausetot sein. Ich wartete, aber wusste selbst nicht, auf was. Plötzlich höre ich einen lauten Knall: „Peng!“ Der Krach schien aus der alten, ungeöffneten Dose zu kommen, die mir meine Oma zu meinem 11. Geburtstag geschenkt hatte. Bisher hatte ich das Geschenk nicht einmal eines Blickes gewürdigt, wieso auch? Dieses unscheinbare, braune Ding konnte keiner mehr gebrauchen. Ich schon mal gar nicht. Mit zitternden Fingern ergriff ich jetzt aber den Deckel und schob ihn vorsichtig zur Seite. Rauch erschien, ich sah nichts mehr, überall war Qualm. In der Dose musste etwas explodiert sein. Ich riss das Fenster auf und konnte endlich wieder atmen. Aber sehen ging bei dem ganzen Rauch erst mal gar nicht.

 

Mit einem Mal räusperte sich jemand hinter mir. Ich zuckte zusammen und drehte mich langsam um. Ein Junge, er konnte nicht älter sein als 12 Jahre, guckte sich interessiert um. Er hatte braunes Haar, das ganz zerzaust war, trug eine Plunderhose und eine Samtweste. Er hatte eisblaue Augen, die mich sehr freundlich anschauten. Abgesehen von der komischen Kleidung, dem hellen Glanz, der von ihm ausging und der Tatsache, dass er einige Zentimeter über dem Boden schwebte, sah mein unerwarteter Gast eigentlich ganz normal aus. „Bist du ein Flaschengeist?“, fragte ich. „Nein!“ antwortete er mit recht netter Stimme. „Was bist du denn dann und wie kommst du hier herein?“ Ich war ein wenig verärgert. Dieser Typ tauchte einfach in meinem Zimmer auf, schwebte über dem Boden und lies sich keine genaueren Informationen entlocken. „Ich bin Elvario“, stellte er sich dann endlich vor „und ich komme aus dem Portal“. Dabei zeigte er auf die Dose. Elvario machte eine komische Geste und rief: „Ich bin hier um dir ein tolles Angebot zu machen. Ich führe dich ins Land deiner Träume, wenn du das möchtest!“ „Will der mich verarschen?“, dachte ich bei mir im Stillen. „Nein“, kam die Antwort prompt. Ich war überrascht. „Kannst du etwa meine Gedanken lesen?“ fragte ich ungläubig. „Ja!“ sagte er, als wäre es das Normalste auf der Welt mal eben so zu wissen, was so alles in meinem Kopf vorgeht. Und so klang das, was er mir nun vorschlug eigentlich auch ganz normal – jedenfalls in dieser Situation: „Willst du deinen Träumen begegnen?“ „Wie bitte?“ fragte ich ungläubig. „Na, deinen Träumen“, wiederholte Elvario ungeduldig, das kann ich dir möglich machen, wenn du das willst.“ „Okay…“, erwiderte ich zögernd.“ „Na dann“, entgegnete der Dosengeist…

 

Und plötzlich ging alles rasend schnell. Alles wurde Schwarz, ich sah nur noch eine strahlend weiße Pforte, die genauso leuchtete wie Elvario. Sie öffnete sich langsam, wie von Zauberhand. Erst jetzt bemerkte ich, dass Elvario hinter mich getreten war. Von ihm ging ein glänzendes bläuliches Licht aus. „Ladys first!“ sagte er und deutete einladend auf den Eingang. Mit schlotternden Knien ging ich hindurch. Das alles war mir ganz und gar nicht geheuer. Aber ich war total neugierig, so dass ich meine Aufregung und Furcht schnell überwand. Wir kamen in einen langen Gang mit vielen weiteren Türen. Alle waren nummeriert. Und auf einigen waren Zeichen aufgemalt.

 

„In welchen Traum möchtest du denn als erstes?“ fragte Elvario fröhlich. Ich überlegte. Sollte ich das wirklich machen? Das kann doch auch gefährlich sein. Aber da gab es einen Traum, den ich schon lange begegnen wollte. Als ich im Kindergarten war, träumte ich davon, auf einem fliegenden Pferd zu reiten. „Okay, dann den Pegasusritt in Traum 54“, meinte mein Traumbegleiter fachmännisch und wies auf eine der Türen. Ich ging durch sie hindurch und hatte das Gefühl zu fallen. Ich stürzte in die Tiefe. Nach einem endlos langen Fall, so wie es mir vorkam, landete ich auf dem Rücken eines bildschönen Pegasus. Er war schneeweiß und hatte ein Horn auf der Stirn, das bei jeder Bewegung seines Kopfes eine andere Farbe annahm. Wir glitten gemeinsam durch die Wolken. Es war wundervoll. Jede Sorge war in diesem Moment aus meinem Kopf ausradiert. Ich machte die Augen zu und genoss diesen besonderen Ritt, bis eine Stimme in meinem Kopf schrie: „Spring ab!“ Ich wollte nicht aber mein Körper gehorchte automatisch. Wieder befand ich mich im freien Fall und schrie mir die Seele aus dem Leib. Ich erwartete, jeden Moment aufzuprallen, doch ich tat es nicht. Stattdessen landete ich sanft mit beiden Beinen auf dem Boden. Vor mir stand Elvario und grinste breit.

 

Ich guckte mich um und stellte fest, dass ich wieder im Gang mit den Türen stand. „Wie wäre es jetzt mit einem Harry Potter Traum?“ schlug ich vor. Ich las schon immer sehr gerne und liebte Harry Potter Bücher. Schon ein paar Mal habe ich mich in die Welt der Hexen und Zauberer hinein gewünscht. Und nun sollte es wahr werden! „Traum 101“ sagte Elvario und wies auf eine Tür mit einem großen Blitzsymbol. Ich rannte hin, riss sie auf und sprang in die schwarze Leere. Schließlich kannte ich das ja schon. Diesmal war der Fall nur kurz, ich landete mit beiden Füßen auf dem Gleis neundreiviertel. „Cool“, sagte ich überglücklich, während ich in den Hogwarts-Express einstieg. Bald würde ich Harry und seinen Freunden begegnen. Ich konnte es kaum erwarten. Auf einmal verschwammen die Farben und ich stand wieder im Gang mit den Türen. Enttäuscht blickte ich mich um. Schade, warum konnte ich nicht bis zum Ende in diesem Traum bleiben? Und wo war Elvario?

 

Aus einer Tür mit der Aufschrift „Albtraum21“ erklang ein schauriges Brüllen. Ich zuckte erschreckt zusammen. Dann sprang genau diese Tür auf und ein fürchterlich aussehendes Monster kam heraus. Ja, an diesen Traum erinnerte ich mich. Ich war in der 2. Klasse und hatte eine Woche lang Fieber. In dieser Zeit träumte ich von dem Monster. Das kam jetzt genau auf mich zu. Mir blieb nicht viel Zeit, schnell riss ich irgendeine andere Tür auf, um ihm zu entkommen. Ohne viel nachzudenken sprang ich in die Tiefe und noch bevor ich im neuen Traum angekommen war,… wachte ich auf.

 

Ich war erst mal total verwirrt und wusste gar nicht, wo ich nun war. So langsam dämmerte es mir aber. Ich lag auf meinem Bett und befand mich in meinem Zimmer. Mir wurde allmählich klar: Die Begegnung mit meinen Träumen war wohl selbst nur ein Traum gewesen! Ich hatte die ganze Zeit geschlafen. Wie schade, es wäre so toll gewesenen, wenn das alles wirklich passiert wäre. Nur auf das Monster hätte ich verzichten können. Elvario war sehr nett und toll, aber er war leider nicht echt. Trotzdem hoffte ich, dass wir uns nächste Nacht wiedersehen würden. Vielleicht begegne ich dann wieder ihm und einem neuen wunderschönen Traum.

 

 

 

ENDE

 

 

 

11 Jahre