Pfoten und ein großes Herz

 

Drückende Hitze lag über den Käfigen, in denen sich die verschiedensten Hunde tummelten. Der sandige Boden staubte. Lu lag in der hintersten Ecke seines Zwingers, die Zunge hing ihm aus dem Maul und sein Fell hatte jeglichen Glanz verloren. Er hatte die Hoffnung längst aufgegeben, ganz im Gegensatz zu dem kleinen, sandfarbenen Chihuahua, der aufgeregt an den Gitterstäben hochsprang und kläffte. Dieses Fellbündel hörte auf den Namen: „Sweets“. Sweets war mit seinem Herrchen nach Spanien gekommen, hier hatten sie ein Ferienhaus gehabt. Doch eines Tages hatte die Terrassentür offen gestanden und er hatte beschlossen, neue Hunde und Gerüche kennenzulernen. Dabei hatte er sich verirrt. So war er in dieses Tierheim gekommen. Sweets glaubte fest daran, dass sein Herrchen kommen und ihn retten würde. Sieben Wochen – so lange war er nun schon hier. Was er nicht wusste: Noch eine Woche und er würde nicht mehr existieren.

 

Schritte ertönten und ein Pfleger zusammen mit einem hochgewachsenen Mann kamen die Gasse zwischen den Käfigen entlang. Der Pfleger deutete hin und wieder auf einen der Hunde. Wenn der Mann stehen blieb, jaulte der jeweilige Hund auf, ging der Mann weiter, winselte das Tier. Der Pfleger sah in Lus käfig und erzählte etwas darüber, dass dieser Hund nun schon mehrere Wochen hier war. Der Mann fragte, wie Lu hieß, aber der Pfleger wusste es nicht. Überhaupt machte er sich keine Mühe, sich überhaupt irgendetwas über die Hunde aus dem Tierheim zu merken. Er arbeitete nur wegen des Geldes hier. Lu wusste das. Schon oft hatte er ihm kein Futter oder Wasser gebracht. Sweets bellte hoffnungsvoll: „Schau mal her! Schau mal, was für ein super Hund ich bin! Nimm mich mit! Komm schon, Mensch!“ Der Mann verstand ihn nicht. Lu seufzte. Es brach Sweets jedes Mal das Herz, nicht abgeholt zu werden.

 

Ein riesiger, schwarzer Pitbull drängelte sich mit den Worten: „Weg da, du Zwerg!“, nach vorne. Sweets kläffte beleidigt, aber der andere Hund ignorierte ihn. Verzückt betrachtete der Mann die einschüchternde Köpermasse des Tiers. Lu verstand ihn nicht, der Hund hatte ein etwas eingedelltes Gesicht und böse funkelnde, schlitzartige Augen. Überhaupt sah er nicht aus wie ein Schoßhündchen, mit dem man sich auf das Sofa kuscheln konnte. Den Mann schien das nicht zu stören. „Wie heißt er?“, fragte er den Pfleger. Dieser zögerte. Natürlich wusste er den Namen nicht. „Senior“, stammelte er mit starkem spanischen Akzent. Der Mann nickte: „Ich nehme ihn und keinen anderen!“. Senior legte seinen großen Kopf schief und wuffte erfreut.

 

Sweets gab einen traurigen Laut von sich. Lu stemmte sich mühsam hoch, „Sweets!“, fing er an, „Es gibt noch andere Menschen, die sich einen Hund wünschen…“, weiter kam er nicht, da Sweets angefangen hatte zu winseln. „Aber er war wie für mich geschaffen! Warum musste er den hässlichen…?“ mit einem Blick auf den Pitbull, der drohend knurrte, korrigierte er sich „den wunderschönen und klugen Senior nehmen?!“. Der besagte Hund sah siegessicher auf ihn hinab. „Ich bin halt einfach besser als du!“, gab er zurück. Sweets knurrte, was angesichts seiner geringen Köpergröße ziemlich lächerlich war. Auch Senior lachte nur, während ihm von dem Pfleger ein Halsband umgelegt wurde. Der Mann streichelte ihn unterdessen.

 

Lu stupste Sweets mit der Schnauze an. „Komm schon! Das wird noch, jemand wird dich abholen.“ Sweets ließ den Kopf hängen. „Meinst du wirklich?“ Lu nickte, „Absolut!“ Sweets seufzte. „Hoffentlich!“ Lu hoffte auch darauf, sogar sehr. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als ein schönes Zuhause. Wo, war egal, nur schön. Schwerfällig trottete Lu zurück in die Ecke und legte sich wieder hin. Sweets hüpfte zu ihm. „Wann genau glaubst du?“ „Ich weiß es nicht“, gab Lu leise zur Antwort.

 

Senior wurde gerade an einer Leine hinausgezogen. Mit einem Blick zurück rief er: „Tschüss, ihr Loser!“ Lu seufzte, manche Hunde ändern sich wohl nie. Die nächsten Stunden verbrachten sie damit, sich hechelnd über das Schicksal zu beschweren. Ein paar Menschen kamen vorbei, manche nahmen einen mit, andere nicht. Schließlich, gegen Abend, trat eine Frau in kurzen Jeans und T-Shirt an den Käfigen vorbei. Die Hunde legten nur den Kopf schief, für heute hatten sie aufgegeben. Die Frau blieb vor dem Zwinger von Lu und Sweets stehen. Überglücklich strahlte die Frau Sweets an, Sweets sprang an dem Gitter hoch. „Frauchen! Frauchen!“ Ja, das war sie! Die Frau in den Jeans war Sweets ehemalige Besitzerin. Gerade rief sie nach dem Tierpfleger, der sich langsam dem Käfig näherte.

 

Sweets wandte sich, plötzlich traurig, zu Lu um. „Das war`s dann wohl“, sagte er leise.
Lu lächelte mild. „Ja, das war‘s dann wohl“, sagte er mit fester Stimme. Er ließ sich seine Traurigkeit nicht anmerken, schon Sweets zu liebe. Tröstend rieb Sweets seinen Kopf an ihm. „Es kommt bestimmt noch jemand, der auch dich mitnimmt!“, wuffte er. Lu nickte traurig. „Vielleicht“. Lu wurde hinausgeführt, mehrere Male sah er sich zu Sweets um. „Auf Wiedersehen!“, bellte er und trottete langsam zu seinem Käfig, indem der Korb von Sweets schon rausgeräumt wurde.

 

Das leise Winseln von Sweets bemerkte auch die Frau, sie wunderte sich über seinen hängenden Kopf und fragte dann: „Das ist wohl dein Freund, was?“, und deutete auf Lu. Lu spitzte die Ohren, „Reden sie über mich?“ Die Frau lachte und schaute Lu in die Augen. „Gut, dann nehmen wir auch ihn mit!“ Sweets hüpfte zustimmend im Kreis und verhedderte sich dabei in seiner Leine. Der Pfleger stöhnte: „Man könne sich auch gleich entscheiden“, legte aber nach kurzem Zögern Lu ein Halsband um, befestigte eine Leine daran und reichte diese der Frau. Lu stand sofort parat und Sweets bellte aufgeregt: „Du kommst mit! Du kommst mit!“ Lu nickte glücklich. Die Frau strich Lu über den Kopf: „Willkommen zuhause!“

 

11 Jahre